Perfekt im Altenglischen (II.)
Die Bildung des Perfekts im Englischen muss auch im Hinblick auf die Modalverben untersucht werden. Vielleicht kannst du es schon nicht mehr hören, aber stell dir vor: Es ähnelt dem Deutschen auf verblüffende Weise. Doch hier muss ich innehalten! Denn das Perfekt, das im Altenglischen mit modalen Verben gebildet wurde, weist eher Ähnlichkeiten mit dem heutigen niederländischen Perfekt auf.

I. Übereinstimmung mit der deutschen Ersatzinfinitiv-Konstruktion
Modale Hilfsverben werden auch im Englischen in der Vergangenheit verwendet – heute eher eingeschränkt, im Altenglischen hingegen deutlich häufiger. Eine gemeinsame Eigenschaft aller modalen Verben bestand darin, dass sie schwach konjugiert wurden, jedoch das Präfix "ge-" trugen – man könnte also von sogenannten gemischten Verben sprechen. Sie bildeten das Perfekt stets mit dem Hilfsverb hæbben.
Beispiele:
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cunnan → hæfd gecunnd
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magan → hæfd gemagd
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mōtan → hæfd gemōted
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willan → hæfd gewilld
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shallan → hæfd geshalld
Solche Formen waren im Sprachgebrauch selten – ebenso wie im Deutschen.
Ic hæbbe det nich gewilld.
(Ich habe das nicht gewollt.)
Wenn diese Verben in Verbindung mit einem anderen Verb standen, dessen Bedeutung sie modifizierten, entstand ebenfalls eine Doppelinfinitiv-Konstruktion.
II. Abweichung gegenüber dem Deutschen
Im Gegensatz zum Deutschen, wo modale Verben im Perfekt stets am Satzende stehen und damit zwingend das Hilfsverb haben erfordern, war die Wortstellung im Altenglischen flexibler. Das modale Hilfsverb stand in der Regel direkt vor dem Vollverb, auf das es sich bezog – unabhängig davon, ob es sich am Satzende befand oder nicht. In dieser Hinsicht zeigt das Altenglische eine größere Nähe zum heutigen Niederländischen.
Beispiel:
He is i dām hāus mōtan gangan.
(Er musste ins Haus hineingehen.)
Trotz des modalen Verbs mōtan richtet sich die Wahl des Hilfsverbs (is) nach dem Vollverb gangan, das eine Bewegungsrichtung ausdrückt. Das modale Verb beeinflusst also nicht zwangsläufig die Wahl des Hilfsverbs – anders als im Deutschen.
Ein weiteres Beispiel:
Thou hæfst cildlice cunnan singan.
(Du konntest als Kind singen.)
In dieser Konstruktion steht das modale Verb cunnan ebenfalls vor dem Vollverb singan, das den Satz abschließt – mit entsprechendem Einfluss auf die Hilfsverbbildung.
Im Vergleich lässt sich sagen: Das Altenglische positionierte die Infinitive wie im Niederländischen freier, während das Deutsche eine feste Stellung verlangt. Die Reihenfolge der Verben im Englischen hatte dabei Einfluss auf das gewählte Hilfsverb – ähnlich dem niederländischen System, das eine gewisse Flexibilität erlaubt.
III. Doppelinfinitiv mit anderen Verben im Altenglischen?
Obwohl nicht standardisiert, war der Doppelinfinitiv im Altenglischen auch bei sogenannten Wahrnehmungsverben wie "sehen", "hören", "helfen" oder "lassen" verbreitet.
Beispiele:
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hyrdan (hören) → hæfd gehyrdan
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sēnan (sehen) → hæfd gesēnan
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hēlpan (helfen) → hæfd geholpan
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lǣtan (lassen) → hæfd gelētan
Ic hæbbe thee gesēnan.
(Ich habe dich gesehen.)
Wenn jedoch ein weiteres Verb hinzutrat – etwa um eine Handlung des gesehenen oder gehörten Subjekts auszudrücken –, entstand ein Doppelinfinitiv, wobei der zuletzt stehende Infinitiv über die Hilfsverbwahl entschied:
Ic hæbbe thee hyrdan singan.
(Ich habe dich singen hören.)
Was geschieht hier? Es liegt eine Umformung eines Nebensatzes in einen Hauptsatz mit Akkusativobjekt und Infinitiv vor – ein Phänomen, das auch in modernen Sprachen vorkommt. Die ursprüngliche Konstruktion:
Ic hæbbe gehyrdan, dæt thou gesungan hæfst.
(Ich habe gehört, dass du gesungen hast.)
wird umgewandelt, indem das Subjekt des Nebensatzes (thou) in ein Akkusativobjekt (thee) transformiert wird und die finite Verbform durch einen Infinitiv ersetzt wird.
IV. Gemischte Verben außerhalb der Modalen
Abgesehen von den sechs modalen Hilfsverben gab es im Altenglischen nur wenige sogenannte gemischte Verben, die Eigenschaften schwacher und starker Verben kombinierten: Sie begannen oft mit Stammvokalveränderung (stark), endeten jedoch regelmäßig mit -d (schwach). Beispiele:
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hæbben → hæfd gehæbbd (haben)
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brannen → hæfd gebrannd (brennen)
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cennan → hæfd gecennd (kennen)
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bringan → hæfd gebrohd (bringen)
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nemnan → hæfd genemnd (nennen)
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wenan → hæfd gewend (sich wenden)
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sendan → hæfd gesended (senden)
Diese Verben belegen, dass das Altenglische auch abseits der modalen Hilfsverben Formen kannte, die sich nicht klar einem der beiden traditionellen Konjugationstypen zuordnen lassen – ein Erbe, das auch im modernen Englisch noch in Form von irregular verbs weiterlebt.